Sonnenfinsternis 2017 in den USA

Zur Sonnenfinsternis („Sofi“) in die USA…

Ein Bericht aus der Hildesheimer Allgemeine Zeitung

Mit Sack und Pack auf dem Weg zu „Sofi“: Unter Leitung von Arndt Latußeck reist eine Gruppe Hildesheimer der Sonnenfinsternis in den USA entgegen.

Der ICE, der am Dienstag um 19.55 Uhr aus dem Hildesheimer Hauptbahnhof rollt, soll Arndt Latußeck und seine 17 Mitreisenden nach Frankfurt bringen. Doch damit hat die Gruppe ihr Ziel noch längst nicht erreicht: 38 Grad, 22 Minuten, 14 Sekunden Nord, 91 Grad, 28 Minuten, 38 Sekunden West steht auf dem dunkelblauen T-Shirt des 19-jährigen Informatik-Studenten Philip Schneider. Darunter ein Ortsname: Owensville. Exakt diesen Punkt haben die Hildesheimer ins Visier genommen. Am kommenden Montag, 21. August, um 20.12 Uhr unserer Zeit und um 1.10 Uhr Ortszeit, wollen sie genau dort stehen.

Nun gehört die 2500-Seelen-Gemeinde in Missouri wahrlich nicht zu den touristischen Highlights für Amerika-Reisende. Und dennoch ist Latußeck überzeugt, dass sich an diesem Tag, in diesem Moment allein hier 20 000 bis 40 000 Touristen tummeln und in den Himmel starren werden. Denn sie alle haben nur einen Traum: Sie wollen „Sofi“, die totale Sonnenfinsternis, erleben, die von West nach Ost über die Vereinigten Staaten streicht. 1500 Kilometer südlich der Aleuten wird der Kernschatten des Mondes mitten im Pazifik erstmals die Erdoberfläche treffen. In nur 27 Minuten wird er die 3900 Kilometer bis zur Westküsten der Vereinigten Staaten über den Ozean streichen. Anfangs ist er nur 62
Kilometer breit, wächst dann auf 100 Kilometer an. Die erste amerikanische Stadt, die vom Kernschatten getroffen wird, ist Newport im Bundesstaat Oregon. Dort dauert die „Totalität“, die vollständige Bedeckung der Sonne durch den Mond, allerdings nur eine Minute und 44 Sekunden.
Deshalb hat sich Latußeck entschieden, weit in den Osten der Staaten zu reisen. In Owensville wird das kosmische Mega-Ereignis nämlich zwei Minuten, 34 Sekunden dauern. Sofern nicht Wolken die Sicht auf die Sonne versperren – und aller Aufwand, alle Mühe vergebens gewesen wären. Doch so weit will der Reiseleiter in Sachen Sternenkunde gar nicht denken.


Schon als Kind hat er sich für Astronomie interessiert, hat als Steppke mit einer Astronomiearbeit
erfolgreich bei „Jugend forscht“ teilgenommen. Heute ist der zweifache Familienvater als Quereinsteiger Lehrer am Josephinum, unterrichtet Astronomie als Seminarfach und hat eine Astro-AG ins Leben gerufen, die sich auch nach Schulschluss noch für zentrale Fragen des Universums
begeistert. Neun der Mitreisenden sind denn auch Josephiner, vier junge Leute sind Ex-Josephiner, die Latußeck mit seiner Sternenbegeisterung infiziert hat.


Norbert Paul steht derweil ein bisschen wehmütig in der Halle des Bahnhofs. Der Bäckermeister im Ruhestand ist ebenfalls glühender Astro-Fan. Vor zehn Jahren hat er in der Türkei eine Sonnenfinsternis erlebt. „Es war bombastisch, richtig bombastisch“, sagt er mit den gleichen leuchtenden Augen, mit der viele Hildesheimer noch immer von seinem legendären Mohnkuchen schwärmen. „Ich wäre ja gerne mitgefahren, aber die Reise war mir einfach zu anstrengend. Ich
bin ja auch nicht mehr der Jüngste.“

Die Reiseroute, die Latußeck ausbaldowert hat, hat es tatsächlich in sich: Von Frankfurt ist die Gruppe am Mittwoch nach Warschau geflogen, dort gab es einen Flieger nach Chicago am Lake Michigan. Mit Mietwagen soll es tags darauf dann einige hundert Meilen quer durch Illionois nach Owensville gehen.
„Das ist ja auch schon ein Erlebnis“, zeigt sich Latußeck unerschütterlich. „Und das Ganze für nur 1200 Euro Reisekosten pro Kopf.“ Einige Schüler hätten dafür lange fleißig gejobbt und gespart.

So eine Sonnenfinsternis sei allerdings auch „ein Wahnsinnserlebnis“.
„Wenn man da mit tausenden Menschen steht und es immer dunkler wird. Wenn es plötzlich kühler wird, die Tiere sich anders verhalten. In der Totalität ist die Sonne nur noch eine schwarze Scheibe. Und alle sind wie vom Donner gerührt.“ Um einen rational gepolten Naturwissenschaftler so ins Schwärmen zu bringen, muss wohl wirklich etwas Außergewöhnliches passieren. Doch Latußeck weiß, wovon er spricht, sechs Sonnenfinsternisse hat er schließlich schon erlebt. 1998 auf Curaçao in
der Karibik, 1999 in Kirchheim unter Teck in Baden-Württemberg, 2001 in Sambia, 2005 in Spanien, 2006 in Libyen, 2009 in Wuhan in Südostchina. Außerdem war er 2008 im sibirischen Nowosibirsk, um den Venus-Transit zu beobachten. „Um meine Urlaubsziele brauche ich mir also keine Gedanken
zu machen“, sagt er grinsend. Tatsächlich sei jede Sofi ein wenig anders, weil die Sonnenkorona je nach Sonnenaktivität immer anders aussieht. Die Sonnenkorona gehört zur Atmosphäre der Sonne. In
Zeiten hoher Sonnenaktivität reicht der Strahlenkranz der Korona mehrere Millionen Kilometer ins Weltall hinaus. Mit bloßem Auge ist er von der Erde aus nicht zu erkennen, weil die Sonne viel zu hell
strahlt. Doch wenn der Mond bei einer totalen Sofi die Sonne vollständig verdeckt hat, sieht man durch Schutzbrillen hindurch den hellen, silbrigen Strahlenkranz aus nahezu vollständig ionisiertem
Plasma. Kurioserweise ist er einige Millionen Grad heißer als die darunter liegenden Schichten der Sonne; die Chromosphäre und die Photosphäre, die als eigentliche Oberfläche der Sonne gilt.
Geklärt ist dieses paradoxe Phänomen bislang nicht. „Die NASA will deshalb Überschallflugzeuge aufsteigen lassen, die mit einer Geschwindigkeit von 3500 Kilometer pro Stunde zehn Minuten im Kernschatten fliegen können und Daten sammeln sollen“, sagt Latußeck. „Da läuft noch echte
Forschung.“


Die Hildesheimer aber wollen sich einfach nur von dem Phänomen gefangen nehmen lassen. „Das wird bestimmt spannend“, freut sich Timon Scholz (17). „Und sicherlich deutlich schöner als im Fernsehen.“ Wie seine Mitreisenden hat auch er seinen Koffer vollgestopft mit technischem Gerät: Teleskop, Kamera, Filter. „Selbst habe ich eine Sofi ja noch nie gesehen“, fiebert Jonas Fischer dem großen Tag entgegen. Kein Wunder: Bei der letzten Sofi in Hildesheim 1999 war der 16-Jährige noch nicht einmal geboren. Barbara Friedrich, neben Latußeck die zweite Lehrkraft, ist ebenfalls Sofi-Neuling: 1999
musste sie arbeiten – und ihr Chef gab ihr nicht frei. Dieses Mal will sie die seltene Chance nicht verpassen. Millionen Sofi-Touristen aus allen Teilen der Welt werden die USA überrollen. Schon im Vorfeld gibt es Partys, Konzerte, Sportevents – auch in Owensville. „Ich freue mich auch auf die Leute“, sagt Latußecks Tochter Jana (16). Norbert Paul wird sich später alles haarklein berichten lassen: Sohn Jens und Enkelin Elisa sind mit auf die lange Reise gegangen. Und wenn es Montag regnet? „Dann weine ich“, sagt Latußeck. „Aber im Moment ist weit und breit kein Tiefdruckgebiet in Sicht.“
Share by: